Musikalische Gemälde
Spät-Romantische Klaviermusik mit Dimitris Sgouros im Paulussaal
1. April 1992 - Südkurier
Zwölfjährig, gab der Grieche Dimitris Sgouros sein Konzertdebut in der berühmten Carnegie Hall in New York. Inzwischen ist er 22 Jahre alt und ein weltberühmter Pianist geworden. Trotz des Wirbels, der um seine Person gemacht wird, wirkt Sgouros auf der Bühne zurückhaltend, bescheiden.
Diese Charaktereigenschaft zeichnet auch seinen Vortragsstil aus. Wo andere Pianisten in die Tasten greifen, daß die Fetzen fliegen, übt Sgouros eine wohltuende Zurückhaltung aus. Er zieht nicht die lauten, die bravourösen, nach Effekten haschenden Töne vor, sondern die leisen, die nach Innen gehenden. Kein Show-Mensch, der sich im Zuspruch einer großen Menge badet, sondern einer, der seinen Eifer der Sache verschreibt, der er sich widmet, und das ist die Musik.
Ein Abend der zurückhaltenden Töne also. Zum Beispiel Robert Schumanns Fantasie C-Dur: Eine träumerische phantasievolle Musik, die Sgouros modelliert, als handele es sich um ein Lied ohne Worte. Unterlegt von raschen Begleitfiguren der linken Hand, so spielt er mit der Rechten weich und sensibel eine Melodie mit gesanglichen, langgezogenen Tönen. Dann ein kurzes Innehalten, langsamer Werden - einem Gedankenstrich vergleichbar. Und schon taucht ein neuer musikalischer „Gedanke“ auf: kräftiger, robuster angeschlagen. Indem er das zu Beginn angeschlagene Tempo dann wieder aufnimmt, läßt Sgouros den neuen „Gedanken“ schließlich in den „Anfangsgedanken“ einmünden, allerdings mit einer kleinen Veränderung, die ihm noch eine träumerische Note zu verleihen scheint.
In dieser Weise reiht der Pianist einen musikalischen „Gedanken“ an den anderen, formt er die von ihm vorgetragenen Kompositionen, als handele es sich um „musikalische Gedichte“. Dabei vermittelt Sgouros den Eindruck, daß es ihm nicht in erster Linie um eine Verdeutlichung, eine Klarstellung der musikalischen Faktur solcher „Klang-Gedichte“ gehe, sondern vor allem um den Ausdruck, den spezifischen Charakter, der sich in der Faktur mitteilt.
Zum Beispiel in Frédéric Chopins 24 Préludes: Da entstehen Charaktergemälde, die etwas Schwebendes, leichtfüßig Tänzerisches an sich haben. Oder solche, deren Charakter vor Energie fast zu platzen scheint, wenn der Pianist virtuos über die Tasten fährt.
Friedemann Otterbach
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