Ein Virtuose aus Griechenland brachte die Zuhörer in fassungsloses Staunen
Zarte Melodiebögen und dahinperlende Asse
Dimitris Sgouros gab Klavierabend im Lautlinger Schloβ — Werke der Romantik
Mai 1992 - Kritik vom „Albstadt-Konzert“
LAUTLINGEN. Am Freitagabend avencierte das Lautlinger Schloß zum Treffpunkt für Klaviermusikfreunde aus der näheren Umgebung, da der Pianist Dimitris Sgouros dort einen Klavierabend gab. Der aus Griechenland stammende Virtuose zählt, obwohl erst 22 Jahre alt, zu den festen Größen des Internationalen Konzertlebens und hat bereits mit hochklassigen Plattenaufnahmen für Aufsehen gesorgt. Die Attraktivität des Konzertes lag auch darin, daß zwei berühmte Werke aus der Romantik auf dem Programm standen.
Die C-Dur-Klavierfantasie von Robert Schumann ist für dessen poetische Musikauffassung typisch, da sie ein Zitat von Friedrich Schlegel als Motto trägt: „Durch alle Töne tönet / Im bunten Erdentraum / Ein leiser Ton gezogen / Für den, der heimlich lauschet.“ Im ersten Satz der Klavierfantasie entspricht diesem allgegenwärtigen „leisen Ton“ ein ritornellartig wiederkehrendes Motiv. Dimitris Sgouros gestand der Begleitstimme an den entsprechenden Stellen nur untergeordnete Bedeutung zu, um die Melodie auch dem weniger „heimlich Lauschenden“ bewußt zu machen.
Die beiden übrigen Abschnitte des Werks wurden sehr temperament-voll gespielt, zumal der Pianist jeweils ein rasches Tempo wählte. In der Mitte des zweiten Satzes ersetzte er die poetisch-feinen dynamischen Wechsel, die sich bei gleichbleibender rhythmischer Struktur vollziehen, durch langgezogene Steigerungen hin zu den ff- und fff-Höhepunkten, wobei er die letzteren einige Takte vor Schumann erreichte. Daß Sgouros' Spiel wegen seiner technischen Souveränität angenehm zum Zuhören war, läßt sich kaum bestreiten — mit Schumanns Ideal einer Verschmelzung von Musik und Dichtung hatte es aber wohl nicht allzuviel zu tun.
Die charakterliche Differenziertheit der 24 Préludes von Frédéric Chopin vermittelte Sgouros dagegen auf eindrucksvolle Art und Weise. Obwohl er wiederum auswendig spielte, vermochte er sich auf die Eigentümlichkeiten der einzelnen Präludien, die oft im krassen Gegensatz zu den jeweils benachbarten Stücken stehen, sicher einzustellen. Beispielsweise gestaltete er das a-moll-Prélude sehr nachdenklich, in-dem er die verminderten Akkorde zögernd anging — fast wie ein Komponist beim Ausprobieren von Klängen —, ehe er die Wirbel des G-Dur-Teils durch kluge Gewichtsverteilung zum Schwingen brachte. Nach dem schlichten A-Dur-Andantino riß er die Zuhörer im stürmischen fis-moll-Prélude zu fassungslosem Staunen hin: um dieses Werk derart zusammenhängend und geschlossen zu spielen, bedarf es schlichtweg technischer Vollendung. Die großartigsten Momente erschöpften sich Jedoch nicht in den virtuosen Stücken wie dem b-moll- oder f-moll-Prélude, sondern waren auch in den ruhigeren Teilen anzutreffen: im berühmten „Regentropfen-Prélude“ ließ der Künstler die an Tropfen gemahnenden Asse zwar recht geschwinde dahinperlen, versah die zarten Melodiebögen aber mit subtiler Agogik.
Mit der Wahl der Zugabe, einer a-moll-Mazurka von Chopin, überlies Dimitris Sgouros sozusagen der lyrischen Komponente das letzte Wort. Daß er es bei diesem einen zusätzlichen Stück bewenden ließ, war nicht unbedingt von Nachteil, denn nach dem brillanten Chopin-Zyklus wäre eine Steigerung nur schwerlich vorstellbar gewesen.
Johannes Windrich