Sinfonische Feinarbeit

 Reutlinger Philharmonie zusammen mit dem Pianisten Dimitris Sgouros

15. Januar 1996 - SÜDWESTPRESSE - Schwäbisches Tagblatt

 

REUTLINGEN (toz). Virtuosität und musikalische Intelligenz wird dem 25jährigen Pianisten Dimitris Sgouros bescheinigt. Im 2. Klavierkonzert B-Dur op. 83 von Johannes Brahms finden sich reichlich Gelegenheiten, diese Eigenschaften zu bewähren. Weniger hart als Pollini oder Serkin geht Sgouros die ersten beiden Satze an, lyrischer in der Grundhaltung. Dirigent Roberto Paternostro wählte ein Tempo, das für Momente dem Pianisten zu langsam schien; er versuchte, vergeblich, im ersten Satz etwas zu beschleunigen.

Insgesamt aber erfuhr das Werk am Freitag eine konzentrierte, überaus spannende Wiedergabe. Die mit Gästen verstärkten Instrumentalisten der Württembergischen Philharmonie Reutlingen musizierten fast stets mit der rhythmischen Präzision, die Brahms wie kein anderer Komponist seiner Zeit fordert.

Sein Lied „Todessehnen“ zitiert Brahms im 3. Satz. Bereit zu entsagendem Verlöschen, angesichts der in den vorangehenden Sätzen thematisierten Entfremdung eine Suspendierung des Selbsterhaltungstriebs bereitet den Schluß vor, mollgetrübte, aber heitere Diesseitigkeit. Das Publikum in der ausverkauften Listhalle feierte den Solisten und das Orchester, Dimitris Sgouros gab hinreißend eine Mazurka von Chopin zu. Die zweite Hälfte des Abends gehörte Brahms großem Antipoden, Richard Wagner. Hier filigrane thematisch-motivische Arbeit, dort der dicke Pinsel, pastose Farben. Daß solche Entgegensetzung nicht schlüssig ist, hörte man in einer grandiosen Interpretation der Tannhäuser Ouvertüre und des Bacchanale. Hier gelang den Reutlingern wirklich alles, Pilgerchoral und Venusbergmusik ebenso wie dann der Sprung in das den Tristan noch an chromatischen Finessen übertreffenden Bacchanale.

Überaus gründliche Probenarbeit ermöglichte ein makelloses Musizieren - perfekt agierten Blech- und Holzbläser, in sinfonischer Feinarbeit gestaltete das Orchester den erotisch überhitzten Taumel. Das Vorspiel aus den Meistersingern hätte den Abend beschließen sollen; aber nur einmal jährlich gibt es ein Neujahrskonzert, das Publikum verlangte nach einer Zugabe, und so packte Paternostro wieder einmal ein Zukkerl aus: nach den Schwergewichten Brahms und Wagner das, ja, Fliegengewicht Lehar, „Gold und Silber“.


Mit Brahms und Wagner

 Neujahrskonzert der Württembergischen Philharmonie Reutlingen

15. Januar 1996 - Reutlinger Generalanzeiger

 

Das Reutlinger Festliche Neujahrskonzert war in der Tat ein Fest. Da gab es schon einmal ein nicht alltägliches, wirkungsvolles Programm mit Brahms' gewaltigem zweitem Klavierkonzert B-Dur, anschließend Glanzstücke Richard Wagners: Ouvertüre und Bacchanale aus »Tannhäuser« und das »Meistersinger«-Vorspiel. Dazu die hervorragend disponierte Württembergische Philharmonie, überlegen dirigiert von Roberto Paternostro. Schließlich ein Solist der Weltklasse: der junge Pianist Dimitris Sgouros.

Lebhaft erinnerte man sich an das glanzvolle Auftreten Dimitris Sgouros' im Neujahrskonzert vor drei Jahren. Damals spielte er Franz Liszts zweites Klavierkonzert bravourös, faszinierend vor allem durch die fabelhafte Beherrschung virtuoser Extravaganzen. Nun war man gespannt, wie Sgouros dieses völlig anders geartete zweite Klaverkonzert B-Dur opus 83 von Brahms gestaltet, in dem das virtuose Element gewiß nicht im Vordergrund steht. Vielmehr ist hier das Klavier in das geistvolle, formvollendete, in die Tiefe lotende musikalische Geschehen quasi als gleichberechtigter Partner des Orchesters einbezogen. Und siehe da: Der griechische Pianist konnte sich auch mit Brahms' Musik und gerade mit diesem als schwierigstem, auch gewichtigstem geltenden Werk der klassisch-romantischen Tradition vollkommen identifizieren, es nachvollziehen.

Nicht zu Unrecht hatte der Wiener Kritiker Eduard Hanslick einst Brahms' B-Dur-Klavierkonzert als »Symphonie mit obligatem Klavier« bezeichnet. Und das war auch das Kennzeichen der Darstellung des Klavierparts durch Dimitris Sgouros: Daß er sich innerhalb sinfonischer Entwicklungen nicht um jeden Preis in den Vordergrund zu spielen versuchte, daß es ihm vielmehr um eine Art kammermusikalischer Einordnung ging, und daß er den leuchtenden Klavierklang als Farbe im orchestralen Gesamtklang verstand. Was nicht heißen soll, daß er sich stets mit dem ungeheuer schweren Klavierpart im Hintergrund bewegte. Zudem gibt es in diesem Konzert auch einige Stellen, in denen das Klavier durchaus dominiert. Und da konnte der Pianist großartig aus sich herausgehen und die solistische Herausforderung, besonders im Finale, annehmen.

Gleich im ersten, riesenhaft angelegten Satz werden Solist und Orchester mächtig gefordert. Wundersam gelingt zu Beginn das Motiv des ersten Horns, vom Klavier wie aus der Ferne beantwortet. Mit sicherem Gespür für rechte Zeitmaße und angemessene Dynamik läßt Roberto Paternostro die Klangereignisse vorüberziehen, etwa die wunderschön klingenden Legati der Holzbläser, heftig attackierende Arpeggios und weitgriffiges, pointiertes Akkordspiel des Klaviers, den gewaltigen Tutti-Einsatz des Themas mit dem Glanz des ganzen Orchesters, kantable, auch erregte thematische Entwicklungen, dann die Wiederkehr des Hornrufs über zarten Umspielungen des Klaviers. Der zweite Satz, ein weit ausgreifendes Scherzo mit Trio, kommt leidenschaftlich bewegt, ein wilder Reigentanz, in dem sich Streicher, Bläser und Soloklavier fantastisch entfalten.

Im einzigartigen, zu Herzen gehenden Andante spielte Friedemann Dähn das Violoncello-Solo wunderbar, mit feiner Empfindung, klangschön und glücklicherweise keineswegs tränenreich, wie man es manchmal hören kann. Unvergeßlich auch das feine Zwiegespräch zwischen Cello und Klavier. Großer Kontrast dann das schwungvolle, lebensfrohe Finale mit seiner ungarisch gefärbten Thematik, in dem das Klavier immer wieder brillieren kann, und das Orchester mit ausgezeichneten Bläser- und Streicher-Soli unter Roberto Paternostros fordernder Gestaltung zu glanzvollen Höhepunkten geführt wird. Als Zugabe brachte Dimitris Sgouros eine ganz zärtlich gespielte Mazurka von Chopin.

Eberhard Stiefel


Im Bacchanale brach sich ein heiß loderndes Klangfarbenmeer die Bahn

 Neujahrskonzert der Philharmonie mit einem fabelhaften Dimitris Sgouros

15. Januar 1996 - Reutlinger Nachrichten

Von unserem Mitarbeiter Robert Maschka

 

REUTLINGEN. Brahminen und Wagnerianer kamen am Freitagabend in der Listhalle voll auf ihre Kosten. Um das neue Jahr festlich zu eröffnen, hatte Generalmusikdirektor Roberto Paternostro das 2. Klavierkonzert von Johannes Brahms und Richard Wagners Tannhäuser-Ouvertüre samt Bacchanale und das Meistersinger-Vorspiel aufs Programm gesetzt. Und mochte das harmonische Miteinander des fabelhaft disponierten Pianisten Dimitris Sgouros und der Württembergische Philharmonie die Wagnerfans ins Brahms-Lager hinüberziehen, so mußten die Mitglieder der Brahms-Gemeinde dank des beherzt, ja glutvoll aufspielenden Orchesters zugeben, daß der Ausflug in den Venusberg und nach Alt-Nürnberg sich rund-um gelohnt hat.

Das wird Dimitris Sgouros wohl trotz vielfacher Konzerttätigkeit nicht ablegen: daß er mit einer gewissen Verlegenheit auf die Bühne kommt. Wohl nicht aus Unsicherheit, doch aber aus Scheu vor dem Publikum. Kein Wunder bei einem so anspruchsvollen Klavierkonzert wie diesem. Denn hier ist das Publikum nicht durch den bravourösen Auftritt bei der Stange zu halten, sondern die Aufgabe ist hier viel schwieriger.

Vier Sätze lang muß der Zuhörer für eine Musik gewonnen werden, deren Gedankenführung alles andere als einfach ist deren Emotionalität feinsinnig schwankt zwischen Melancholie, Emphase und Nachdenklichkeit. Zudem drängt sich die Virtuosität in diesem Werk nie in den Vordergrund, sondern sie bleibt versteckt, weil sie dem musikalischen Verlauf eingewoben ist. Kurzum, Brahmsens 2. Klavierkonzert ist nichts für Wunderkinder. Und daß Sgouros den Wunderkinderschuhen inzwischen längst entwachsen ist, machte seine überaus differenzierte Vortragskunst offenbar.

Mit Gelassenheit Ruhe, aber auch einer Hingabe, die etwa dem sich pathetisch aufbäumenden Scherzo-Satz nichts schuldig bleibt, widmet sich Sgouros dem Werk. Da gibt es nichts Aufgesetztes, dafür eine Natürlichkeit, die dem Natur-Thema, dem sich diese Komposition zuwendet, adäquat ist. Sgouros weiß die Noten zu beseelen, so daß ein lebendiger Klangorganismus vors Ohr zu treten scheint.

Dem Lyrismus hat er sich verschrieben, in der Mitte des langsamen Satzes zu atemberaubender Intimität sich zurückziehend. Und Sgouros dankt es dem Solo-Cellisten nach dem Konzert per Handschlag, daß dieser ihm durch weichen, sanften Cellogesang dafür die Voraussetzung geschaffen hat.

Ohnehin dürfte Sgouros von der Zurückhaltung, die sich die Württembergische Philharmonie im Zusammenspiel mit ihm auferlegte, angetan gewesen sein. Gerade im Pianobereich gelangen einige nebelhaft verhangene Passagen, die auf den Impressionismus vorauswiesen. Vor allem aber ist der in gedämpftem Tempo musizierte Schlußsatz hervorzuheben. Ohne an Eleganz einzubüßen, sprach aus ihm entspannte Beschaulichkeit. Der heitere Anflug des Finales wirkte noch bis in die Zugabe hinein, denn Sgouros interpretierte die Chopin-Mazurka mit sublimem Witz.

Der ästhetische Reiz lag außerdem im Gegensatz zwischen erstem und zweitem Teil des Konzerts. Nach der Pause fegte mit Tannhäuser-Ouverture und Bacchanale nämlich ein wahrer Feuerstrum durch die Listhalle. Schon das Lied des Minnesängers in den Geigen hatte Hitze, und der Frau Venus lieblich-ätherischer Verführungsgesang in der Solovioline beschleunigte den Herzschlag.

Dann aber brach sich im Bacchanale ein heiß loderndes Klangfarbenmeer die Bahn, wie es in der Listhalle bis dato noch nicht zu hören war. Und diese Hochspannung hielt Paternostro bis in den langen Schlußteil hinein aufrecht, als der Klangstrom nach und nach abebbte und sich ins Pianissimo beruhigte.

Auf dieses musikalische Elementarereignis hätte das Meister-Vorspiel vierschrötig wirken können. Doch Paternostro nahm das Tempo recht zügig und setzte weniger auf einen pastosen Ton, dafür auf die repräsentativ-strahlenden Farbwerte der Partitur. So glänzte schon hier auf, was dem zugegebenen Lehar-Walzer zu seinem Titel verhalf: Gold und Silber.


     
Sgouros mit Shlomo Mintz Dimitris Sgouros und Shlomo Mintz in Athen (1998)  
     

 


 

   

Sgouros mit seinem Porsche auf einer Autobahn in Deutschland unterwegs

Vor der Tonhalle Düsseldorf


 


 

Zurück zur Home Page - Freie MP3 Files von Dimitris Sgouros